Dienstag, 11. September
Heute jährt sich der 11. September zum ersten Mal am selben Wochentag. Ich mußte heute morgen sehr daran denken, wie ich das damals in Kalifornien erlebt hatte. Hier ein Auszug aus einer e-Mail von damals:
Tja, –
wie fang ich an? Offensichtlich gibt es doch ein Leben nach dem 11.9.; es verblüfft mich immer wieder, wie wirkungsvoll allein das Vergehen der Zeit einen auf andere Gedanken bringt. Dabei weiß ich gar nicht, wieso auch mich die Sache so mitgenommen hat – ist schließlich nicht mein Land; ich kenne keinen einzigen der Toten; mehr wert als die vielen, die in Afrika und anderswo sinnlos sterben, sind sie auch nicht; und ich habe auch das Katastrophenvideo noch immer nicht gesehen.
Also, wieso hatte ich fast zwei Wochen lang keinen rechten Spaß am Leben? Man liegt mittags in der Sonne und ißt seine Stullen – die Sonne wärmt nicht, das Brot schmeckt nicht, und man denkt sich: auf diesem Planeten hab ich eigentlich nichts verloren.
Doch, soweit es geht, der Reihe nach: an dem bewußten Dienstagmorgen hatte ich mich erstmal nur gewundert, daß die 7:01-Maschine nicht gestartet war (ich wohne ja jetzt in der Nähe des Flughafens), dachte mir aber weiter nichts dabei außer vielleicht: welch angenehme Stille! Und ich wunderte mich über die langen Gesichter von zwei Nachbarn, die ich auf der Einfahrt traf. Dann komm ich zum Büro: obwohl es schon halb neun ist, sind noch kaum Autos da; zwei Kollegen stehen vor der Tür und haben keinen Schlüssel; ich lasse sie rein und erfahre, während wir uns im Büro verteilen, die unglaubliche Geschichte, mit dem abschließenden Satz: das bedeutet, wir haben wahrscheinlich Krieg. Ich sag, mit wem überhaupt? Antwort: das werden sie rausfinden.
Dann mußte ich mich den Rest der Woche auf das Fertigstellen eines Berichts konzentrieren, der eigentlich erst eine Woche später fällig war; aber da wollte ich ja in Deutschland sein. Ich hätte am liebsten die Tür hinter mir zugemacht und mich hinter meinen Bildschirm verkrochen – aber es war auch so ziemlich still in dem Großraumbüro.
Und so weiter. Natürlich war ich nicht auf der Fringe 2001 in Bremen, und verließ die USA einige Monate später. Doch auch Australien hat inzwischen einen Angriffskrieg auf dem Gewissen, und es kommen weiterhin mehr Menschen zu Tode, als man damals für uns geschätzt hat, als es an die Befreiung des Mittleren Ostens ging.