Archive for September 2007

Dienstag, 11. September

Heute jährt sich der 11. September zum ersten Mal am selben Wochentag. Ich mußte heute morgen sehr daran denken, wie ich das damals in Kalifornien erlebt hatte. Hier ein Auszug aus einer e-Mail von damals:

Tja, –
wie fang ich an? Offensichtlich gibt es doch ein Leben nach dem 11.9.; es verblüfft mich immer wieder, wie wirkungsvoll allein das Vergehen der Zeit einen auf andere Gedanken bringt. Dabei weiß ich gar nicht, wieso auch mich die Sache so mitgenommen hat – ist schließlich nicht mein Land; ich kenne keinen einzigen der Toten; mehr wert als die vielen, die in Afrika und anderswo sinnlos sterben, sind sie auch nicht; und ich habe auch das Katastrophenvideo noch immer nicht gesehen.
Also, wieso hatte ich fast zwei Wochen lang  keinen rechten Spaß am Leben? Man liegt mittags in der Sonne und ißt seine Stullen – die Sonne wärmt nicht, das Brot schmeckt nicht, und man denkt sich: auf diesem Planeten hab ich eigentlich nichts verloren.
Doch, soweit es geht, der Reihe nach: an dem bewußten Dienstagmorgen hatte ich mich erstmal nur gewundert, daß die 7:01-Maschine nicht gestartet war (ich wohne ja jetzt in der Nähe des Flughafens), dachte mir aber weiter nichts dabei außer vielleicht: welch angenehme Stille! Und ich wunderte mich über die langen Gesichter von zwei Nachbarn, die ich auf der Einfahrt traf. Dann komm ich zum Büro: obwohl es schon halb neun ist, sind noch kaum Autos da; zwei Kollegen stehen vor der Tür und haben keinen Schlüssel; ich lasse sie rein und erfahre, während wir uns im Büro verteilen, die unglaubliche Geschichte, mit dem abschließenden Satz: das bedeutet, wir haben wahrscheinlich Krieg. Ich sag, mit wem überhaupt? Antwort: das werden sie rausfinden.
Dann mußte ich mich den Rest der Woche auf das Fertigstellen eines Berichts konzentrieren, der eigentlich erst eine Woche später fällig war; aber da wollte ich ja in Deutschland sein. Ich hätte am liebsten die Tür hinter mir zugemacht und mich hinter meinen Bildschirm verkrochen – aber es war auch so ziemlich still in dem Großraumbüro.

Und  so weiter. Natürlich war ich nicht auf der Fringe 2001 in Bremen, und verließ die USA einige Monate später. Doch auch Australien hat inzwischen einen Angriffskrieg auf dem Gewissen, und es kommen weiterhin mehr Menschen zu Tode, als man damals für uns geschätzt hat, als es an die Befreiung des Mittleren Ostens ging.

Papierkram erledigt

Also, das glaubt man ja wohl kaum – Christine und ich hatten ein paar Nächte durchgearbeitet, um den neuen Visumsantrag komplett zu kriegen – dann war sie persönlich beim Amt und hat den Packen abgegeben, weil der per Post nicht rechtzeitig gekommen wäre – hier reicht der Poststempel nämlich nicht, hier muß der Kram am Stichtag da sein – das war bei uns der 8. September, aber der 7. war ja im Innenstadtgebiet Feiertag wegen APEC. Also mußte Christine alles persönlich abgeben, um sicher zu gehen. Dann wurde ihr gesagt, sie sollte mal in einer Stunde wiederkommen; das tat sie dann auch, und bekam ohne weitere Umschweife ihr neues Visum in den Paß geklebt! Ja, ja, ja!
Unglaublich, wo kämen wir da hin, wenn der öffentliche Dienst immer so arbeiten würde! Ich vermute allerdings, daß es für die auch einfacher war, das neue Visum (erstmal für zwei Jahre) direkt auszustellen, anstatt ihr noch ein Übergangsvisum zu geben; und ich hab auch schon des öfteren gehört, daß man mit einem vollständigen Antrag immer fein raus ist. Dazu kommt noch, daß das Verdachtsmoment „Wirtschaftsflüchtling“ bei US-BürgerInnen (noch) nicht gegeben ist. Die Rassenzugehörigkeit spielt hier, glaube ich, inzwischen wirklich keine Rolle mehr.
Denn kann’s ja weitergehen mit dem Leben hier – hoffentlich wird’s bald mal Frühling! Die letzte Woche war so kühl und regnerisch, daß die APEC-Teilnehmer für das Abschlußphoto in Regenmänteln posierten – als australische Nationalkleidung! Da wird doch der Wurm in der Pfütze verrückt!

Schon wieder Papierkram

Schon 1:19 und ich sollte längst im Bett sein – aber dem ist ja nun so, daß ich dringenden Papierkram zu erledigen habe: Christine und ich müssen bis Donnerstag den Antrag auf ihr Partnervisum eingeschickt haben und ich habe gerade die halbe Geschichte von August 2006 bis jetzt fertiggetippt (C muß das natürlich noch abnicken, oder auch nicht), und massig Photos in das Word-Dokument gezogen – wie schön, wenn man einen Farblaserdrucker hat! Kommen noch dazu: ein kleiner Stapel Paßphotos, einige schriftliche eidesstattliche Aussagen von Bekannten (mit Ausweiskopien, beglaubigt bei der Polizei), daß wir wie ein echtes Paar wirken; Nachweise, daß wir einander tatsächlich kennen und auch gelegentlich was zusammen unternehmen – aber sonst geht alles ganz schnell und unbürokratisch. Trotzdem, ich will mal nicht meckern – immerhin gibt’s hier ein konsistentes System und man weiß, woran man ist. Wenn man’s so bedenkt, ist Deutschland bei der Einwanderung genau so planlos wie Australien beim Klimaschutz – andere Länder, andere Sitten.
Ansonsten ist gerade APEC-Gipfel hier, die Gegend ums Opernhaus ist gesperrt, berittene Polizei gibt’s aber nicht, weil die Pferde alle Grippe haben. Bush kommt zu spät, weil er in Bagdad rumtrödelt, und in der Zeitung war neulich ein Bild von einem neuen Spielzeug: einem schwarz angemalten Wasserwerferwagen – Mann, hab ich da Angst gekriegt! Da sieht man gleich, daß da kaltes Wasser drin ist! Mir ist dazu nur die Geschichte von einem persönlichen Bekannten eingefallen, der zu Brokdorf-Zeiten beim Bund Fallschirmjäger war und doch tatsächlich eines Tages mit scharfer Munition zum Einsatz abgesetzt wurde. Was ich damit sagen will, ist: bei manchen Dingen geht die Staatsgewalt eben nicht vom Volke aus. Mehr nicht.
Wir haben Freitag eigentlich frei, weil die ganze Innenstadt abgeriegelt ist – ich fahre aber trotzdem, um die Stadt rum, zur Arbeit, weil ich bis November jeden Freitag zwei Studenten für ein Projekt da habe – und so viele Freitage haben wir nicht, daß wir einfach so einen ausfallen lassen können.
Das ist zwar schade, denn jeden anderen Tag hätt ich gern als Feiertag mitgenommen, aber es gibt trotzdem Grund zum Frohlocken: diese Jahr kriegen wir zum ersten Mal schon im September Sommerzeit statt im Oktober! JUHUUU! Damit wird Australien gleich um ein ganzes Stück lebenswerter! Hmm, ich seh gerade, das stimmt doch nicht – BUHUUU – nächstes Jahr dann aber!
Meine Lektüre in der Bahn ist gerade A secret Country von John Pilger, der sich 2003 sehr in der Antikriegsbewegung eingesetzt und mit vor Zorn leicht zitternder Stimme gegen die Lügenkampagne angedonnert hat – Zeitseidank bin ich inzwischen desillusioniert genug, so ein Buch zu lesen, ohne gleich aus der Haut zu fahren. Es macht schon teilweise zornig, aber weckt auch Hoffnung. Der Mann liebt sein Heimatland, aber nicht blind – empfohlen für Australier und solche, die es werden wollen.